Rede zur Aktuellen Debatte „Innovationen made in Baden-Württemberg – 200 Jahre Fahrrad“ – 19.7.2017

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Abgeordnete!

Bei keiner anderen Erfindung ist das Nützliche mit dem Angenehmen so innig verbunden, wie beim Fahrrad.“ – dies sagte Adam Opel, der Begründer des heutigen Autoherstellers.

Ich weiß es noch wie heute, als ich das erste Mal dank meiner Geschwister alleine Radfahren konnte. Hach, welch ein Glück! Freiheit! Selbständige Mobilität! Das Stadtviertel, die ganze Stadt waren für mich kleinen Steppke auf einmal erreichbar. Und was für ein erhebendes Gefühl ist es, nach wenigen Stunden nur mit eigener Muskelkraft einen ausgewachsenen Alpenpass erreicht zu haben und wie herrlich ist dann die wohlverdiente Abfahrt zurück ins Tal.

All das und vieles mehr haben wir, haben Abermillionen Menschen der Erfindung des Baden-Württembergers Karl Freiherr von Drais zu verdanken. Am 12. Juni vor 200 Jahren führte er das erste Mal seine Laufmaschine dem staunenden Mannheimer Publikum vor. Er bewältigte die Strecke nach Schwetzingen und zurück in der bis dato unvorstellbaren Zeit von nur einer Stunde. Und – was nur wenige wissen – nur ein paar Wochen später, am 28. Juli 1817 machte er die erste „Mountainbike-Tour“. Er fuhr von Gernsbach durch den Wald über die Passhöhe am Staufenberg nach Baden-Baden.

Die geniale Erfindung des Fahrrads – ein Meilenstein in der Menschheitsgeschichte. Und es erlebt in den letzten Jahren eine Renaissance. Zu Recht! Auch und insbesondere in Baden-Württemberg!

Denn:

Fahrradfahren ist  effizient! Bei keinem Verkehrsmittel braucht man so wenig Energie pro Strecke. Mit einer halben Tafel Schokolade [~ 280 kcal] kommen sie zu Fuß ca. 3 km weit. Umgerechnet mit einem Mittelklasseauto 250 – 300 Meter. Und mit dem Fahrrad bei mäßigem Tempo 15 km. Und das umweltbewusst ohne fossile Brennstoffe zu verbrennen und das Klima zu schädigen! [u.a. Uni MS, MIN in MA, eigene Umrechnung

Fahrradfahren ist schnell!

Mit keinem anderen Verkehrsmittel kommt man in der Stadt so schnell ans Ziel. Mehr als die Hälfte der Autofahrten sind in Baden-Württemberg kürzer als 5 km [RadSTRATGIE]. Mit dem Rad brauchen sie keinen Parkplatz zu suchen, sie sind auf solchen Distanzen locker schneller am Ziel. Und dank der Pedelecs gilt dies inzwischen auch für hügelige und längere Strecken. Es macht also auch daher überhaupt keinen Sinn mit dem Auto zum Bäcker zu fahren.

Fahrradfahren ist gesund!

Regelmäßiges Radfahren verbessert den allgemeinen Gesundheitszustand erheblich. Das Risiko für Erkrankungen der Herzkranzgefäße, für Diabetes im Erwachsenenalter und Fettleibigkeit sinkt auf die Hälfte. Das Risiko für hohen Bluthochdruck nimmt um 30 % ab. [Betriebliche Radverkehrsförderung, Broschüre des ehem. MFW, 2012

Fahrradfahren ist ein Tourismusfaktor!

In Baden-Württemberg werden jährlich 14 Mio. Tagesausflügler auf dem Rad und 3,2 Mio. Übernachtungen durch Radreisende gezählt. Als Tagestouristen geben sie 16 Euro und als Übernachtungsgäste rund 65 Euro pro Tag aus [Studie des deutschen Tourismusverbandes]. Dies summiert sich auf rund eine Milliarde Euro pro Jahr in Baden-Württemberg [VSF-Gutachten].

Und dieses Geld bleibt hier im Land und wird nicht für ökologisch zweifelhafte Urlaubsflüge in die weite Welt ausgegeben! Allein der Radtourismus sichert ca. 25.000 Arbeitsplätze  in Baden-Württemberg [Vollzeitäquivalente, VSF-Studie zur Fahrradwirtschaft BaWü]. Und die durch den Radtourismus geschaffene Wirtschaftskraft kommt besonders den schönen Regionen in ländlichen Räumen zugute.

Das Fahrrad ist ein Wirtschaftsfaktor!

Wir sind das Land der Tüftler, Denker und Global Players.

Der welt-beste Nabendynamo wird von einem kleinen Maschinenbauer in Tübingen hergestellt, in Bad Urach werden hochwertige Hydraulik-Bremsen für den Weltmarkt produziert und in Freiburg geniale Fahrradbeleuchtung. In Stuttgart sitzt der Großhändler für Fahrradzubehör und ein hiesiger Weltkonzern hat die Pedelec-Branche mit hocheffizienten Antrieben aufgemischt.

Hinzu kommen unzählige Fahrradgeschäfte, Dienstleister, Bekleidungshersteller und vieles mehr. Insgesamt generieren knapp 900 Unternehmen sowie der Fahrradtourismus im Land einen jährlichen Gesamtumsatz in Höhe von gut 2,1 Mrd. Euro und sichern rund 32.000 Arbeitsplätze. [VSF-Studie zur Fahrradwirtschaft BaWü

RadfahrerInnen sind die gesünderen und günstigeren Beschäftigten!

Diverse Studien weisen die positive Wirkung nach, die bereits 30 Minuten moderate Bewegung am Tag haben. Täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit hält fit und macht gesünder. Davon profitieren die Beschäftigten und ihre Unternehmen. Denn laut einer Überblicksstudie nehmen die Fehlzeiten im Durchschnitt um mehr als ein Viertel ab. [Betriebliche Radverkehrsförderung, Broschüre des ehem. MFW, 2012].

Das rechnet sich für die Unternehmen! Bei einer angenommenen Fehlzeiteneinsparung von 4 Arbeitstagen und Arbeitskosten von 40 Euro/Stunde beträgt der jährliche finanzielle Nutzen rund 1.300 Euro! Und: Auf der Fläche eines Autostellplatzes können acht Fahrräder abgestellt werden, die Kosten für den Bau von Fahrradplätzen betragen ein Achtel derjenigen Kosten Autoparkplätzen, auch die Wartung ist günstiger. [ebd.]

Nicht zuletzt deshalb sind wir auch der Überzeugung:

Radverkehrsförderung ist ökonomisch sinnvoll

Radfahren ist preisgünstig. Nur Zufußgehen ist noch billiger. Das Fahrrad ist ein wesentlicher Beitrag zur Freiheit und zur Mobilität für viele Menschen.

Radverkehrsförderung ist Daseinsvorsorge.

Und Investitionen in Fahrradinfrastruktur sind um ein Vielfaches billiger als die in Straßen für Autos. Und gleichzeitig leisten wir mit der Radförderung einen Beitrag gegen den täglichen Verkehrsinfarkt in den Städten. Jeder Radfahrerin und jeder Radfahrer sind ein Auto weniger auf den Straßen.

Sie emittieren keinen Feinstaub und keine Stickoxide – sie tragen aktiv zur Luftreinhaltung bei. Karlsruhe hat es uns vorgemacht! Der Radverkehrsanteil hat sich dort verdoppelt und die Werte der Luftschadstoffe sind deutlich gefallen.

Alles in allem summiert sich der volkswirtschaftliche Nutzen  – der Gesamtumsatz der Fahrradindustrie, Effekte wie CO2-Reduzierung, verbesserte Gesundheit oder Wertschöpfung im Tourismus auf 1.000 Euro pro Radfahrerin und Radfahrer und Jahr. [Bericht der European Cyclists Federation in der EU]

Unsere Ziele haben nichts mit Ideologie zu tun! Sie basieren auf nachweisbaren Fakten! Das gebe ich allen zu bedenken, die in schöner Regelmäßigkeit vorschlagen, man könne beim Fahrrad sparen. Das wollen wir nicht, und das werden wir auch nicht tun.

[RV-Politik und –Förderung im Land

Als dies hat bereits die Vorgängerlandesregierung erkannt. Mit Blick auf den Klimaschutz hat sie sich Ziele gegeben.

Der Radverkehrsanteil soll sich – gemessen an der Zahl der Wege – von 8 % im Jahr 2008 auf 16 % in 2020 verdoppeln und bis 2030 ist weitere Steigerung auf 20 % geplant. Dazu hat das Verkehrsministerium die richtigen Konzepte entwickelt:

Die Kampagne RadKULTUR soll das Radfahren verstärkt ins Bewusstsein der Menschen bringen. Wir feiern in diesem Jahr groß – und angemessen – den 200-jährigen Geburtstag des Fahrrads.

Wir haben die RadSTRATEGIE. Sie ist die konzeptionelle und strategische Grundlage für die Radverkehrsförderung in Baden-Württemberg. Mit der RadSTRATEGIE wird der Weg aufgezeigt, wie Baden-Württemberg  bis 2025 zu einem fahrradfreundlichen Land werden kann.

Ein wesentlicher Bestandteil davon ist das RadNETZ des Landes. Nicht einzelne, gut ausgebaute Streckenabschnitte entscheiden über die Attraktivität eines Radweges. Entscheidend ist eine durchgängige Befahrbarkeit.

Das RadNETZ ermöglicht eine gezielte Bewerbung des Radverkehrs im Alltag und in der Freizeit. Es soll landesweit alle Ober- und Mittelzentren über definierte Hauptrouten für den Alltagsradverkehr verbinden. Es zeichnet sich durch direkte, sicher und komfortabel zu befahrende Radverkehrsverbindungen aus. Die natürlich mit einer durchgehend einheitlichen Wegweisung versehen sind.

Das Fahrrad wird im Alltag, beim Weg zur Ausbildung oder zur Arbeit genutzt. Es werden auf dem Fahrrad etwa 50 % mehr Wege an den Werktagen Montag bis Freitag zurückgelegt, als am Wochenende [Innovaplan-Studie zum RV in BaWü, Grundlage für RadNETZ] Deswegen brauchen wir nicht nur für die AutofahrerInnen, sondern auch für die RadfahrerInnen hochwertige Verbindungen, mit denen sie schnell zum Ziel kommen.

Ja wir brauchen nicht nur Autobahnen im Land, wir brauchen auch Radschnellwege. Das Land wird deshalb für drei Pilotstrecken die Verantwortung übernehmen: Unter anderem in der Metropolregion Rhein-Neckar zwischen Heidelberg und Mannheim. Das ist ein Meilenstein! Der Mannheimer Karl Freiherr von Drais wäre 200 Jahre nach seiner ersten Fahrradfahrt begeistert!

Zusammenfassung

Also: Radverkehrsförderung bedeutet Mobilitätssicherung und trägt wesentlich zum Klimaschutz bei. Sie stärkt fördert die Gesundheit der Menschen und entlastet das Gesundheitssystem. Und unsere Baden-Württembergische Wirtschaft profitiert davon!

Und sie wirkt! Der Ergebnisbericht zur ersten Wirkungskontrolle der Radverkehrsförderung vom Herbst letzten Jahres belegt, dass beim Radverkehr mit überschaubaren Investitionen in kurzer Zeit viel bewegt werden kann.

200 Jahre Fahrrad – das sind 200 Jahre fortwährende Innovationen im Land. Darauf können wir stolz sein. Diesen Erfindergeist müssen und werden wir weiter fördern. Und wir können stolz sein auf die Radverkehrspolitik im Land. Den Radverkehr müssen und werden wir weiter fördern.

Was Albert Einstein über seine Relativitätstheorie sagte, gilt auch für mich und diese Rede: „Mir fiel es ein, während ich Fahrrad fuhr.“

Herzlichen Dank